Offener Brief an Bundesministerin des Auswärtigen, Annalena Baerbock

Betreff: Langjährige Autor:innen befürchten Ende von Qantara.de als relevantem Dialogportal mit der arabischen und muslimischen Welt

Sehr geehrte Bundesministerin des Auswärtigen Annalena Baerbock,

wir Autor:innen von Qantara.de blicken mit großer Sorge auf die Übergabe des Projektes von der Deutschen Welle (DW) an das Institut für Auslandsbeziehungen (ifa). Wir stehen in Solidarität mit der bisherigen Redaktion, die bei erfolgtem Übergang Ende des Monats ihren Rücktritt angekündigt hat.

Wir haben Zweifel, dass das ifa die redaktionellen Kapazitäten besitzt, um ein solches, über viele Jahre aufgebautes komplexes und für alle Nahost- Interessierten sowie für Wissenschaftler:innen so wichtiges Projekt erfolgreich weiterzuführen.

Dabei gibt es die unmittelbare Sorge, dass das über viele Jahre umfangreiche Archiv durch die Löschung von unzähligen Beiträgen zerstört wird, für die das ifa keine Nutzungsrechte besitzt. Dazu kommt, dass das ifa nicht annähernd die Medien-Infrastruktur besitzt wie der bisherige Träger, die DW, von deren Bildrechten Qantara beispielsweise profitiert hat. Außerdem fehlt es dem ifa aufgrund seiner bisherigen Ausrichtung an der notwendigen journalistischen und redaktionellen Kompetenz für eine mehrsprachige, multiperspektivische und inhaltlich herausfordernde Medienplattform wie Qantara. Wir sehen nicht, wie das Projekt von einem Transfer zum ifa in irgendeiner Weise profitieren kann. Wir fragen uns daher, welche Motive es gibt, diesen Schritt überhaupt zu gehen, in einer Zeit, in der sachorientierte und differenzierte Informationen über und im Austausch mit der Region wichtiger sind denn je.

Das Auswärtige Amt betont, es wolle Qantara dauerhaft erhalten und deshalb von der Projektfinanzierung bei der DW in eine institutionelle Finanzierung beim ifa überführen. Dabei stellt sich die Frage, warum man die Finanzierung nicht neu regelt, aber redaktionell alles beim Alten lässt – zumal bereits jetzt eine Kooperation zwischen beiden Trägern besteht. Das Argument überzeugt uns daher nicht.

Wir sehen die reale Gefahr, dass hier ein Projekt faktisch abgewickelt werden soll, das Meinungsvielfalt zulässt und in seinen Debatten gelegentlich auch deutsche Außen- und Kulturpolitik sachlich hinterfragt. Indem das Auswärtige Amt über den Umweg ifa das Projekt Qantara aufs Abstellgleis fährt, beendet es die für einen demokratischen Austausch so wichtigen Debatten. Dabei gibt es bereits jetzt kaum noch Räume, in denen der Dialog zwischen der Islamischen und Arabischen Welt und Deutschland gelebt werden kann. Die Tatsache, dass die Qantara-Redaktion davon ausgeht, dass das Portal bei Eingliederung in das ifa nicht mehr als unabhängiges, staatsfernes und kritisches Medium fungieren kann, unterstreicht die Berechtigung unserer Sorge.

Qantara, das ist nicht nur ein Name, das sind über 21 Jahre Aufbauarbeit, 2.000 Autor:innen und 90.000 Artikel – Artikel in deutscher, englischer und arabischer Sprache, in denen kenntnisreich und tiefgründig über Deutschland und die Islamische und Arabische Welt berichtet, diskutiert und gestritten wird. Dabei wurden weder eurozentristische Stereotypen noch Islam-apologetische Tendenzen bedient. Stattdessen fungierte Qantara in allen Krisen stets als ein Instrument der Deeskalation und Versachlichung. Es gibt nichts, das dieses Projekt derzeit ersetzen könnte. Qantara, diese starke Brücke zwischen Deutschland und der Islamischen und Arabischen Welt sollte gestärkt und nicht ohne Nöte eingerissen werden.

Wenn die Umstrukturierung hin zum ifa ohne für uns überzeugende Argumente tatsächlich erfolgt und unsere Befürchtungen wahr werden, sehen wir als Autorinnen und Autoren keine Grundlage für eine weitere Zusammenarbeit mit Qantara.

Unterzeichner:innen

(in alphabetisher Reihenfolge)

Jan Altaner

Anna-Theresa Bachmann

Dr. Andrea Backhaus

Daniel Bax

Stefan Buchen

Bettina David

Roman Deckert

Karim El-Gawhary

Dr. Marie-Christine Heinze

Jan Hanrath

Hannah El-Hitami

Dr. Irene Weipert-Fenner

Emran Feroz

Inge Günther

Dr. Sonja Hegasy

Kristin Helberg

Mirco Keilberth

Gerhard Klas

Dr. Wolfram Lacher

Marian Brehmer

Muhammad Luqman

Teseo La Marca

Tugrul Mende

Sofian Philip Naceur

Dr. Ali Fathollah-Nejad

Dr. Ceyda Nurtsch

Christopher Resch

Elisa Rheinheimer

Dr. Matthias Sailer

Ilyas Saliba

Dr. Sebastian Sons

Adnan Tabatabai

Stefan Weidner

Charlotte Wiedemann

Dr. René Wildangel

Gerrit Wustmann

Prof. Jürgen Zimmerer

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