Interview mit Stefan Weidner: Wie wichtig ist Qantara.de als Brücke zur islamischen Welt?

Ein Gespräch mit dem Übersetzer und Autor Stefan Weidner im Deutschlandradio Kultur vom 22.09.2014

Wie wichtig ist Qantara.de als Brücke zur islamischen Welt?

cropped-banner_qantara_hoche_aufl_sung_welle_hintergrund-21.jpgDas Internetportal Qantara.de steht für Essays und Artikel jenseits der Islam-Klischees. Jetzt soll offenbar die finanzielle Förderung durch das Auswärtige Amt eingestellt werden. Doch die Schließung kommt zu einem ungünstigen Zeitpunkt. Ein Interview mit Stefan Weidner

Moderatorin: Unsere Frage des Tages in der Sendung Kompressor beschäftigt sich heute mit Qantara. Qantara ist das arabische Wort für „Brücke“, und das ist auch der Name des mehrsprachigen Internetportals, das eine Brücke in die islamische Welt sein will, mit immerhin 350.000 Followern und vielen prominenten Autoren. Finanziert wird das Portal der Deutschen Welle durch Mittel des Auswärtigen Amtes. Jetzt ist durchgesickert, dass die Förderung Ende des Jahres auslaufen könnte. Qantara stünde damit vor dem Aus. Unsere Frage des Tages lautet deshalb: Warum ist Qantara als Brücke zur Islamischen Welt so wichtig? Und die Frage gebe ich gleich weiter an den Autor und Literaturkritiker Stefan Weidner.

Herr Weidner, Sie selbst schreiben für Qantara. Was leistet denn eigentlich diese Plattform im Augenblick?

Stefan Weidner: Man muss wissen, dass Qantara ein Kind des 11. September ist. Man hat damals gemerkt, dass uns die kulturpolitischen Dialogplattformen fehlen. Plattformen, auf denen man sich in den Sprachen Deutsch, Englisch und Arabisch in der islamischen Welt – es gab auch mal Türkisch und Indonesisch – über kulturpolitische Fragen austauschen, d.h. also Hintergrundfragen diskutieren kann. Es gibt beispielsweise auch Beiträge über Musik und Kunst. Das alles bewirkt, dass man einen gemeinsamen Wissenshintergrund hat, auf dem man sich mit Autoren in der islamischen Welt verständigen kann und wo wir als Autoren beispielsweise gelesen werden in der Islamischen Welt. Das ist das Großartige an diesem Portal und dadurch schafft es etwas, was sonst kaum ein Medium schafft. Die Deutsche Welle ist mehr ein Nachrichtenportal, es werden Nachrichten gesendet. Das Goethe-Institut macht allgemeine Veranstaltungen. Es gibt eine Zeitschrift des Goethe-Instituts „Fikrun wa-Fann“, „Art and Thought“, die macht etwas ähnliches, aber wie gesagt auf Zeitschriftenniveau – also ein anderes Medium. Dieses schnelle Internetmedium Qantara schafft es wirklich unmittelbar wöchentlich, diesen Dialog immer wieder neu auf die Beine zu stellen.

Ich habe bereits erwähnt, dass das Portal 350.000 Follower haben soll, was eine ganze Menge ist. Wer liest denn Qantara und vor allem: Wo wird es gelesen?

Stefan Weidner: Ja, es ist verblüffend. Es wird wirklich sehr, sehr weit gelesen. Ich war zuletzt auf dem Berliner Literaturfestival, wo ich eine Party besuchte und neben mir stand ein Autor. Es war der pakistanischen Schriftsteller Nadeem Asslam – ein sehr bekannter, englischsprachiger Autor. Wir unterhielten uns ein bisschen und dann sagte ich ihm, dass ich auch für Qantara schreibe und er sagte: „Oh, Qantara – yes, I know it!“ Ja, und wenn ich irgendeinen Artikel dort veröffentliche, dann bekomme ich Mails aus Saudi-Arabien, aus Marokko oder aus Indien, dass die Leute diese gelesen haben. Mit anderen Worten: Das Portal hat es im Laufe von 10, 12 Jahren die es mittlerweile besteht, geschafft, wirklich bekannt zu werden. Nicht nur bei Kulturschaffenden, bei Kulturinteressierten, Studenten, sondern auch bei Intellektuellen oder bei Schriftstellern, die sich informieren wollen über das, was in Deutschland gedacht wird oder das was in Europa auch an islamreformerischen Ansätzen existiert. Ich habe sogar gehört, dass ein Text von Qantara, ein Interview mit einem Islamwissenschaftler aus Münster, in einem nigerianischen Lehrbuch über den Islam aufgenommen wurde. So sind die Fortwirkungen und es wäre tragisch, wenn es jetzt eingestellt wird.

Das Portal ist derzeit in Gefahr. Offiziell sind es finanzielle Gründe, die das Auswärtige Amt wohl daran hindert, das Projekt fortzuführen. Können Sie die Argumentation nachvollziehen?

Stefan Weidner: Nein, natürlich überhaupt nicht. In der jetzigen Situation grenzt es schon an Schamlosigkeit. Ich meine, wir schicken Waffen in die Region, wir schicken Ausbilder in den Nordirak. Wir engagieren uns vor allem militärisch so sehr in der islamischen Welt, wie wir es nie getan haben. Und dann zu sagen, diese 300.000 Euro… Ich meine, das ist der Preis von zwei Panzerabwehrraketen! Das müssen Sie sich vorstellen: Diese 300.000 Euro um ein Gespräch zu führen mit den Menschen dort ist zu viel? Das grenzt an Schamlosigkeit. Es kann sein, dass das Auswärtige Amt nicht der richtige Geldgeber ist. Es kann sein, dass wir Qantara anders finanzieren müssen, vielleicht indem wir es übernehmen in die Rundfunkanstalten ZDF oder ARD, also wenn wir einen anderen Pool finden. Das ist eine andere Frage. Aber das Projekt jetzt fallen zu lassen, in dieser Situation, das ist nur grotesk.

Herr Weidner, sie machen da schon so eine Art Möglichkeit auf, wie es weitergehen könnte. Wie sehen Sie denn die Chancen? Ist Qantara derzeit noch zu retten?

Stefan Weidner: Ja, es muss gerettet werden! Ich glaube, es gibt auch viele Chancen. Man weiß, dass das Potenzial sehr hoch ist. Und ich appelliere an das Auswärtige Amt, Qantara zumindest noch ein weiteres Jahr zu finanzieren. – zumindest solange, bis man andere Möglichkeiten findet, dieses Portal zu finanzieren, sei es über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Wir geben Milliarden für Fußballübertragungen aus, die auch schön sind, die ebenfalls Kulturarbeit leisten, aber da wären 300.000 Euro für solch ein Portal nicht zu viel. Und die Zeit muss man Qantara geben, damit es einen neuen Geldgeber findet. Vielleicht findet sich auch eine private Stiftung, die so etwas trägt. Es ist sehr verdienstvoll und jeder der das bezahlt, kann es sich hinterher als Ruhmesblatt an die Brust heften.

„Warum ist Qantara als Brücke zur islamischen Welt so wichtig?“, unsere Frage des Tages im Deutschlandradio Kultur hier im Kompressor hat der Autor und Literaturkritiker Stefan Weidner beantwortet, vielen Dank dafür.

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Eine Antwort zu Interview mit Stefan Weidner: Wie wichtig ist Qantara.de als Brücke zur islamischen Welt?

  1. Schindler Ludmila schreibt:

    Ich bin für einen Dialog mit allen Kulturen! Und über diese Entscheidung nur noch entsetzt.

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